Talent Attraction und Retention in der „großen Talentlücke“ 

Die Herausforderung, die "große Talentlücke" zu schließen, erfordert neue Lösungen, um Talente in einem mitarbeiterzentrierten Markt zu gewinnen und zu halten.

Überwältigende 96 % der Führungskräfte geben an, dass wir uns in einem mitarbeiterorientierten Arbeitsmarkt befinden, und 70 % der Personal-Fachleute prognostizieren in diesem Jahr einen überdurchschnittlichen Umsatz.
Mercer-Studie Global Talent Trends 2022

Wir haben derzeit eine große Talentlücke. Es ist die Lücke - zwischen den Talenten, die für einen optimalen Betrieb benötigt werden, und den tatsächlich verfügbaren Talenten - die Arbeitgebende zu überwinden versuchen.

Laut dem US-amerikanischen Amt für Arbeitsstatistik betrug die Anzahl der Stellenangebote 11,5 Millionen am letzten Werktag im März 2022. Um diese Zahl zu veranschaulichen: Belgien, das 24. wohlhabendste Land der Welt nach dem BIP – hat eine Gesamtbevölkerung von etwa 11,5 Millionen.1 Die Lücke bedeutet fehlende Talente sowie verlorene Wirtschaftskraft. 

Im selben Monat gab es nur 6,7 Millionen Neueinstellungen während die Kündigungen auf 4,5 Millionen kletterten, und dies sind alleine die Zahlen für die USA.2 Weltweit kündigen Arbeitnehmer:innen so häufig wie noch nie. Die englische Wendung „The Great Resignation“ (frei übersetzt mit Kündigungswelle) erhielt im Februar 2022 sogar einen Eintrag bei Wikipedia.  

Dieser Engpass am Arbeitsmarkt wurde durch eine Vielzahl komplexer Probleme verschärft, die sich in den letzten zweieinhalb Jahren weiter verstärkt haben. Es ist zwar verständlich, dass viele Menschen in Zeiten eingeschränkter Freiheit einen Arbeitsplatzwechsel als befreiend empfinden, aber der Rückgang der verfügbaren Talente ist auch auf demografische und wirtschaftliche Faktoren zurückzuführen:

  • Viele Frauen (und einige Männer) empfinden die vermehrte Care-Arbeit und unbezahlte Verantwortlichkeiten als zu stressig, um sie derzeit mit einer Beschäftigung zu vereinbaren.
    Eine indische Studie aus dem Jahr 2020 ergab, dass die häuslichen Pflichten während der Lockdowns in der Pandemie für alle zunahmen, die Last jedoch wurde unverhältnismäßig stark von Frauen getragen.3
  • Viele zugewanderte Arbeitskräfte konnten aufgrund geschlossener Grenzen oder schwieriger politischer Rahmenbedingungen keine neuen Möglichkeiten in anderen Ländern finden, und viele qualifizierte Expats entscheiden sich nach wie vor für einen Umzug in ihre Heimat, um näher bei ihrer Familie zu sein.
    Beispielsweise erlebte die Metropole Hongkong im Februar 2022 einen Nettoabfluss von 71.000 Menschen.5
  • Andere mögen sich aufgrund der Gewinne an den globalen Aktienmärkten oder im Bereich  Kryptowährung während 2021 selbstbewusst genug fühlen, um wirtschaftlich weniger aktiv zu sein.
  • Es gibt zu wenig qualifizierte Personen, um in die Positionen nachzurücken, die durch neue Technologien oder die Entwicklung der Digitalbranchen geschaffen wurden.
Obwohl in vielen Unternehmen eine hohe Fluktuation auf allen Ebenen zu verzeichnen ist und die Herausforderung, Talente zu gewinnen und zu halten, nahezu universell ist, ist die Zahl der Kündigungen bei Freelancer:innen, Mitarbeitenden mit geringerer Qualifizierung und Berufseinsteiger:innen am höchsten. Dies ist vielleicht einer der eindeutigsten Hinweise darauf, dass Rollen/Positionen mit der geringsten Flexibilität schnell unattraktiv werden.

Talente halten: Beschäftigte in systemrelevanten Bereichen verdienen eine sinnvolle Arbeit mit einem Einkommen, das zum Leben reicht

Einer der interessantesten Trends der letzten Jahre ist das Aufkommen des „Essential Workers“. Dies ist eine Person, bei der sich die Gesellschaft darauf verlässt, dass sie an einem Ort erscheint und ihre Arbeit macht, egal was passiert.

„Essential Workers“ haben feste Positionen und befinden sich oft am unteren Ende des Vergütungsspektrums. Sie müssen physisch anwesend sein und unflexible Arbeitszeiten akzeptieren zudem ist Ihre Arbeit häufig wenig abwechslungsreich.

Das Wesen der geringer qualifizierten Arbeit ist nicht neu. Aber der aktuelle Talentmarkt unterscheidet sich grundlegend von dem des Jahres 2019. Jedes Café in der Nachbarschaft sucht eine/n Barista, und dieser Unterschied bedeutet, dass Mitarbeiter:innen mit geringerer Qualifizierung jetzt entscheiden können, wo sie arbeiten, wie sie arbeiten (in gewissem Umfang) und welche Arbeit sie leisten.

Im Januar 2022 warb ein großer australischer Arbeitgebender im Gastgewerbe für Geschirrspüler:innen zum bisher unvorstellbaren Lohn von 120.000 australische Dollar (ca. 85.400 USD), da sie nur so mit Bewerber:innen rechnen konnten. Aber mehr Geld löst nur einen Teil der Probleme im „War for Talents“. Wenn Arbeitnehmer:innen sich dazu entscheiden eine unbefriedigende Stelle zu verlassen, gibt es bessere und nachhaltigere Lösungen.

Eine Geschichte von zwei Baristas: Purpose - mit Sinnhaftigkeit Talente binden

Welche/r Barista leistet einen sinnvolleren Beitrag zum Café, hat ausgefülltere Tage und bleibt daher wahrscheinlicher?

Barista A: Arbeitet von 6:00 bis 14:00 Uhr, macht Kaffee, Tee, heiße Schokolade und Chai und hilft in der Küche, wenn sie/er nicht beschäftigt ist.

Barista B: Arbeitet von 6:00 bis 14:00 Uhr, macht Kaffee, Tee, heiße Schokolade und Chai. Zwischen den Spitzenzeiten:

  • recherchiert sie/er faire Lieferanten und neue Trends wie nachhaltige Einweg-Becher.
  • prüft das Lager und bestellt Vorräte.
  • spricht mit Röstereien und probiert neue Kaffeemischungen.
  • schult andere in der Herstellung der verschiedenen Getränke.

Talente halten: Qualifizierte Mitarbeiter:innen suchen sinnstiftende Arbeit

Wie auch bei geringer qualifizierten Kräften, ist die Abkehr von Arbeitgebenden auch bei den Fachkräften in Wirklichkeit eine Flucht vor einer sinn- und zwecklosen Arbeit. Es ist auch eine Abwendung von der Arbeit, die nicht mit dem Lebensstil, den Menschen nach der Pandemie anstreben im Einklang steht.

Eine der unbeabsichtigten Folgen der digitalen Arbeitswelt liegt darin, dass sie den Einzelnen Tag für Tag daran erinnert, was seine Arbeit genau bedeutet. Die Arbeit im Lockdown hat alles um den Arbeitsplatz herum eliminiert, was das Rollenverständnis der Mitarbeitenden hätte beeinflussen können. Was tun sie wirklich, wenn es keine Gespräche am Kaffeeautomaten, Mittagessen mit Kolleg:innen und Brainstorming-Meetings gibt? Daraus ergeben sich folgende unvermeidliche Fragen: 

„Gefällt mir meine Arbeit wirklich?“

„Warum mache ich diese Arbeit?“

Arbeitgeber:innen, die erfolgreich Talente halten, können ihren Mitarbeitenden helfen, diese Fragen zu beantworten oder wenn nicht, inspirierende Lösungen finden.

Lösungen:

In den meisten Unternehmen ist die Stellengestaltung etwas, das Manager:innen tun, und sie tun es schlecht. Die Manager:innen können nichts dafür, da Sie keine Expert:innen für Job-Design  sind. Wenn sie über eine Rolle nachdenken, liegt ihr Fokus auf dem Output und nicht darauf, Talent zu binden. Eine zusätzliche Hürde besteht darin, dass Manager:innen selten Unterstützung erhalten, wie sie wirklich sinnstiftende Jobs gestalten können, insbesondere im Vergleich zu der immensen Menge an Schulungen, die sie für Dinge wie Performancemanagement erhalten.  

Job-Design hat das Potenzial, weitaus folgenreicher zu sein als viele andere Dinge in der Personalmanagement-Praxis, und derzeit ist es eine riesige, verpasste Chance bei der Gewinnung und Bindung von Talenten.

  • Abgesehen vom Talentmangel ist der Einfluss der Technologie auf Arbeitsabläufe ein entscheidender Grund für Organisationen, sich jetzt auf die Jobgestaltung zu konzentrieren,
    Da KI billiger wird, werden immer mehr Unternehmen Prozesse an sie auslagern, was neue Möglichkeiten schafft, über die Art und Weise wie wir arbeiten nachzudenken. Verstehen wir es als Chance, Technologien zu nutzen, um die Arbeit neu zu gestalten und sie interessanter und ansprechender zu machen. Wenn KI nicht Teil Ihres Digitalisierungsplans ist, dann sollten Sie sie dazu machen.
  • Eine weiterer Hebel in diesem Bereich ist evidenzbasiertes Management.
    Es gibt wissenschaftliche Grundlagen für gutes Job-Design Beispielsweise sind Autonomie, Kontrolle, Feedback und Klarheit  wichtige Hebel für die Mitarbeiterbindung. Diese in die Art und Weise, wie wir Jobs gestalten zu integrieren, ist etwas, das viele Unternehmen anstreben sollten.
  • Eine weitere Chance bietet das Job Crafting.
    Die Forschung hat gezeigt, dass Menschen, die ihre eigenen Positionen erschaffen, engagierter und produktiver sind und mehr Bedeutung in dem sehen, was sie tun. Die Herausforderung besteht dann darin, den Mitarbeitenden einerseits dabei zu helfen, zu verstehen, was sie am meisten motiviert, und ihnen zudem die Instrumente an die Hand zu geben, die sie brauchen, um diese Erfahrung am Arbeitsplatz zu schaffen. Die wahre Bedeutung von Employee Empowerment ist es, den Mitarbeiter:innen die Freiheit zu geben, das, was sie tun, selbst zu verantworten.
Die Rotation von Mitarbeitenden zwischen verschiedenen Positionen auf der Grundlage ihrer Kompetenzen und nicht der Stellenbezeichnung ist sowohl für das Unternehmen als auch für den Einzelnen von Vorteil. Die Mitarbeiter:innen fühlen sich und ihre Kompetenzen wertgeschätzt während sie weitere aufbauen. Die Organisation profitiert von der Arbeit und der Weiterentwicklung.

Es ist wichtig, dass Organisationen so viel Klarheit wie möglich darüber schaffen, was sie tun werden, wann, warum und wie Einzelpersonen zu diesem Ziel beitragen. Ein individualisiertes Verständnis ist aus zwei Gründen entscheidend: Erstens, weil Gewissheiten in volatilen Zeiten stabilisierend wirken, und zweitens, weil Mitarbeiter:innen, die das Gefühl einer gemeinsamen Zukunft mit dem Unternehmen haben, in der Regel am engagiertesten sind.  

Es gibt noch andere wichtige Hebel für Talent Attraction und Retention.

Vier weitere wichtige Punkte bei der Gewinnung und Bindung von Talenten

  1. Verstehen Sie die Employee Experience in Ihrem Unternehmen

    Es ist schwierig, Talente zu binden, wenn Sie nicht verstehen, warum sie unzufrieden sind und/oder kündigen. Austrittsgespräche erfolgen meist zu spät. Wenn Sie einen Prozess entwickeln, der es Ihnen ermöglicht, wirklich auf die Stimme Ihrer Mitarbeitenden zu hören, während sie bei Ihnen sind, werden Sie viel besser in der Lage sein, die Ursachen der Fluktuation anzugehen. 

    Durch offene Fragen in Online-Fragebögen und Möglichkeiten zum Gedankenaustausch für Mitarbeitende, können wertvolle Erkenntnisse gewonnen werden. Fortschrittliche qualitative Methoden wie die Natural Language Processing sollten eingesetzt werden, um umfassende Beschreibungen der Employee Experience zu entwickeln.

  2. Geld ist wichtig (und nicht so wichtig)

    Auch Geld ist wichtig. Es ist der grundlegende extrinsische Motivator bei der Arbeit. Es ist auch für das Recruiting neuer Talente wichtig, das steht außer Frage. Deshalb haben Unternehmen wie Costco und die Bank of America ihren Mindestlohn erhöht. 

    Aber die Macht des Geldes ist keine Supermacht. Fast jede/r Arbeitgeber:in hat die Möglichkeit, mehr zu bezahlen. Der Trick ist, dass Sie Ihre Gehaltsstrategien an den Arbeitsmarkt anpassen müssen, und leider bedeutet eine höhere Zahlung nicht, dass Sie automatisch mehr bekommen.

    Um sicherzustellen, dass Sie die passende Mitarbeitervergütung für die richtigen Talente zahlen, müssen Sie mit einer verlässlichen Mitarbeitervergütungsstrategie beginnen und umfassende Marktdaten sammeln.

  3. Umgang mit Mitarbeiterstress und Schaffung einer Employee Value Proposition (EVP), die unbefriedigte Bedürfnisse anspricht

    Von Fruchtbarkeitsbehandlungen bis zu Stipendien entwickeln Arbeitgeber:innen Leistungsversprechen (EVPs) mit attraktiven Vorteilen, um Talente anzuziehen und zu halten. Bei der Entwicklung dieser EVPs kann es schnell passieren, dass sie Trends folgen, die für Ihre Mitarbeitenden möglicherweise nicht relevant sind. Es ist wichtig, dass Sie zunächst die Bedürfnisse Ihrer Mitarbeiter:innen verstehen.

    Die Beschäftigten sind weiterhin mit zahlreichen unvorhersehbaren Auswirkungen der Pandemie und anderer wichtiger Weltereignisse konfrontiert, was zu einer Reihe neuer oder verschärfter Stressquellen führt, die ihre psychische und physische Gesundheit beeinträchtigen. Die Arbeit sollte kein Teil dieser negativen Auswirkungen sein. 

    Je mehr Unternehmen den Stress und die wichtigen unerfüllten Bedürfnisse der Menschen verstehen, desto besser können sie die Programme, Benefits oder Erfahrungen beurteilen, die ihre Employee Value Propositiones (EVPs) differenzieren oder besser kommunizieren würden, welche bestehenden Programme dazu dienen, diese Stressfaktoren zu verringern.

  4. Weiterbildung als wichtige Investition bei der Talentbindung

    Die persönliche Entwicklung und die Weiterbildung der Mitarbeiter:innen stehen im Mittelpunkt des neuen Arbeitsverhältnisses. Sie können Talente binden, indem sie eine überzeugende Karriere in Ihrem Unternehmen aufbauen. 

    Noch vor der Pandemie gaben 78 % der Mitarbeiter:innen an, dass sie bereit sind, neue Kompetenzen zu erlernen. People Sustainability zu fördern indem wir die zukünftige Beschäftigungsfähigkeit sicherstellen ist heute ein wichtiger Bestandteil des Arbeitsvertrages. Organisationen können einzelne Mitarbeitende Weiterentwickeln, indem sie strategische Schulungen innerhalb eines Career Frameworks anbieten, das den Mitarbeitenden einen klaren und transparenten Weg aufzeigt.

Um die Produktivität aufrechtzuerhalten und zu steigern, müssen Sie extrinsische und intrinsische Motivatoren nutzen. 

Mercer kann Sie dabei unterstützen, für Ihre Mitarbeiter:innen attraktiv zu bleiben und sie zu inspirieren, ihr Bestes zu geben.

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